Ayn Rand (1905 – 1982)

Bewertung: 4 / 5

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Ayn Rand – fast unbekannt in Europa und eine der einflussreichsten AutorinnenAyn Rand 1 in den USA[1]. Allein diese Tatsache ist so erstaunlich, dass Rand unsere Aufmerksamkeit verdient. Rand, die in Russland aufgewachsen und mit 20 Jahren in die USA ausgewandert ist, bezeichnet ihren philosophischen Ansatz als Objektivismus. Mit ihren Beiträgen hatte sie grossen Einfluss auf den Libertarismus. Sie war mit bekannten Persönlichkeiten (darunter Alan Greenspan) befreundet.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass die vom Ayn Rand Institute (ARI)[2] vertretenen Positionen äusserst fragwürdig sind (z.B. Waffen für den Irakkrieg statt Unterstützung für Tsunami-Opfer). Ausserdem ist die Verfilmung von Atlas Shrugged (Atlas Trilogie) grottenschlecht. Das Niveau der Schauspieler, der Regie und der Produktion sinkt (im Gleichschritt mit dem Budget für die Produktion) von Teil zu Teil. Wenn dieser Beitrag dazu animiert, sich weiter mit Rand zu beschäftigen: Vermeidet die Verfilmung von Atlas Shrugged!

Grundlage des Beitrages sind die Romane The Fountainhead[3] und Atlas Shrugged[4]. Es gibt (für humanistisch gebildete Mitteleuropäer) gute Gründe beide Bücher nach wenigen Seiten als kulturell wertlos beiseite zu legen: Seien es die holzschnittartigen Heroen, die sich auf den Gipfeln des Olymp Sätze zurufen, die sie gar nicht sagen müssten, da sie sich ohnehin schon stillschweigend verstehen. Oder das heroische Recht sich über alles Kleine mitleidlos hinwegzusetzen. Oder die Unfähigkeit zum Normalen, oder… Und dennoch:

 

Who is John Galt?

Diese Frage zieht sich als roter Faden durch Atlas Shrugged. Sie erscheint im Ayn Rand 3RomanAyn Rand 2 als Redewendung gemeinsam mit Sätzen wie: Who am I to know? Meist wird sie von Personen ausgesprochen, die aufgehört haben, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Bei diesem: Wer bin ich schon? schwingt immer zugleich die Frage nach sich selbst mit: Wer bin ich? – auch wenn das: Wer bin ich schon? gerade die Frage nach sich selbst verneint und aufgegeben hat. Bestimmen wir uns selbst oder lassen wir uns bestimmen? In den beiden Romanen Atlas Shrugged und The Fountainhead ist der selbstbestimmte, aus eigener Erkenntnis handelnde Mensch das Zentrum um das sich alles dreht, der Ursprung der Produktivität, der Motor kultureller Entwicklung – „ein aus sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges ja-sagen“ wie Nietzsche es formulierte.

Die geschichtliche Entwicklung seit der Renaissance in Europa ist geprägt von drei Emanzipationen: Der geistig-kulturellen Emanzipation durch die Aufklärung, der Emanzipation von der Natur durch die Industrialisierung und der sozialen Emanzipation von Familie und Gemeinschaft durch die staatliche Sozialgesetzgebung. Davor war das Leben bestimmt durch die Abhängigkeit von der Natur und ihren Launen, familiären Traditionen und religiösen Vorschriften. Die gewonnene Freiheit bedeutet aber zugleich, dass der Einzelne nicht mehr durch seine Umwelt bestimmt wird, sondern vor dem Problem steht sich weitgehend selbst bestimmen zu müssen. Er steht somit vor der Entscheidung, sein Leben in die Hand zu nehmen oder anderen in die Hand zu geben. Wer bin ich, der mein Leben in die Hand nehmen soll? Wo finde ich mich? Who is John Galt? Ich kann noch so viele Selfies vor noch so vielen Sehenswürdigkeiten machen – eine Antwort auf mich in Bezug auf diese Welt lässt sich nicht so einfach finden. Und es gibt ein weiteres Problem:

 

Darf ich das überhaupt?

Die Abhängigkeiten von Natur, Familie und Kirche bestehen, wenn auch transformiert oder abgeschwächt, natürlich weiter. Während die Abhängigkeit von der Natur im Konsumbedürfnis weiterlebt und die physische Existenz wiederspiegelt, setzen sich Familie und Kirche in der sozialen und Geistigen Existenz fort. Die Erfüllung sozialer Erwartungen war einstmals existentiell, indem sie den Zugang zur Versorgung im Alter oder bei Krankheit sicherstellte. Das eigenständige Denken wurde von der Kirche direkt sanktioniert – durch den Scheiterhaufen. Die sozialen und kirchlichen Sanktionen hat die Gesellschaft überwunden – die damit verbundenen Ängste nicht. Sie werden weiterhin gepflegt durch das Verhalten von Lehrern, Eltern, Vorgesetzten mit allen ihren Drohungen von Klassen wiederholen, zum Schuldirektor gehen,… Wenn wir vor der Frage stehen wer wir sind und was wir hier sollen, schwingen diese Ängste weiterhin mit. Darf ich überhaupt der sein, der ich sein könnte, wenn ich mich trauen würde das in Angriff zu nehmen, was die Evolution von mir verlangt? Die Frage ist unausweichlich – und wir schrecken vor ihr zurück. Ayn Rand wird nicht müde zu sagen: Du darfst – du musst! Es ist aber deine Entscheidung. Und das ist das beglückende an der Lektüre, dass ich ermutigt und aufgefordert werde das zu sein was ich sein will. Dass ich ein Recht dazu habe – und weder Kirche noch Familie noch sonst wen fragen muss ob ich darf.

 

Ethik und Erkenntnis

Konsequenterweise wird der Altruismus bei Rand strikt abgelehnt. In The Fountainhead wird die altruistische Verwirrung beschrieben. Altruismus bekommt die Bedeutung: Vom anderen ausgehen statt von sich selbst. Dieses Verständnis wird konsequent – nicht nur auf Bedürfnisebene verfolgt. Zum Beispiel hält man das für richtig, was man glaubt das die anderen von einem erwarten für richtig zu halten (ist den meisten ja nicht unbekannt…). Es wird vom Bedürfnis (oder auch von der Meinung) des anderen ausgegangen, der aber auch nicht weiss was sein Bedürfnis (seine Meinung) ist, da er erst die anderen fragen muss,… Diesen Relativismus lehnt Rand ebenso ab, wie den Altruismus und setzt an seine Stelle den Objektivismus, der nichts anderes besagt, als dass es in jedem Fall eine objektive Wahrheit gibt, die dem Menschen zugänglich ist – wenn er sein Leben und seine Gedanken in die Hand nimmt. Daraus ergibt sich für Rand epistemologisch der Objektivismus (mit seinem Gegenbild dem Relativismus) und ethisch der Egoismus (mit seinem Gegenbild dem Altruismus).

In The Fountainhead entsteht durch den altruistischen Relativismus eine allgemeine Orientierungslosigkeit, die von einem Journalisten mit dem Ziel gefördert wird, Macht über die orientierungslosen Massen zu bekommen. In der Auseinandersetzung zwischen Egoismus und Altruismus spiegelt sich die Diskussion von Kapitalismus vs. Kommunismus. Ohne mit allem gleich einverstanden sein zu müssen, ist es sehr spannend diese Frage einmal radikal von einer Seite beleuchtet zu sehen.

 

Let’s make money!

Ganz im Sinne der egoistischen Freiheit wiederholen die Protagonisten in Atlas Shrugged: „I want to produce an I want to make money.“ Während wir den ersten Halbsatz noch gut mitgehen können, kommt im zweiten Teilsatz schnell der Verdacht auf, der Protagonist würde es trotz bereits eingetretenem Reichtum nicht zustande bringen die Maslow‘sche Bedürfnispyramide emporzuklimmen. Umso spannender wie Geld und „to make money“ im Roman verstanden wird – immerhin wird Geld im Verlauf der Geschichte zu einem heiligen Symbol…

„To make money“ steht immer im Kontext von Wertschöpfung und Produktion. Geld wird zum Symbol für das, was Arbeit und Fähigkeiten so hervorgebracht haben, dass andere es nachfragen und bezahlen. Der Reichtum wird zugleich Zeichen für das in der Vergangenheit hervorgebrachte. Die Protagonisten stehen dazu und geniessen den Reichtum – ohne schlechtes Gewissen. Dieses Verständnis wird kontrastiert durch die Beschreibung der „looter“ (Plünderer), die ebenfalls Geld ansammeln – ohne aber produktiv zu sein. Es ist dabei einerlei in welchem Bereich (Markt, Börse, Staat) das Geldansammeln vor sich geht. Die looter werden als jene beschrieben, die durch ihr Verhalten die Welt zerstören.

 

Kollateralschaden der Ichgeburt…

Seit Jahrzenten kreisen ganze Wissenschaften um die Frage: Mehr Markt oder mehr Staat und das Pendel schlägt geduldig hin und her. Während im Kapitalismus Initiative ohne Gemeinschaft vorherrscht, findet man im Sozialismus Gemeinschaft ohne Initiative. Die alles entscheidende Frage ist also: Wie ist Initiative in der Gemeinschaft möglich?

Ayn Rand schildert das im Verlauf von Atlas Shrugged in etwa so: Ein Mensch, der seinen eigenen Wert und seine Fähigkeiten kennt, hat auch die Möglichkeit, Werte und Fähigkeiten der anderen anzuerkennen, ohne dass sein Selbstwert dadurch geschwächt wird. Wozu sollte er andere schädigen, ist er doch auf ihre Leistungen angewiesen? Umgekehrt ist es ihm wertvoll seine Leistungen für jene zu erbringen, deren Wert er anerkennt. Er produziert also so lange, als er den Grund für seine Produktion in den anderen Menschen finden kann. Umgekehrt bei Entlohnung und Bezahlung: Rands Heroen bezahlen ihre Mitarbeiter (und manchmal auch Lieferanten) durchwegs besser als die Konkurrenz, da sie die besten Mitarbeiter (und Lieferanten) haben wollen und den Wert ihrer Leistung entsprechend entlohnen.

Tabu ist eine Geldleistung oder Hilfestellung die allein aufgrund der Bedürfnisse des Empfängers gewährt werden soll (wahrscheinlich daher die Empfehlung des Ayn Rand Institutes keine Hilfsgelder für Tsunami-Opfer bereitzustellen). Wer sich nicht anstrengt aus einer schlechten Situation herauszukommen, soll auch keine Unterstützung haben. Die Selbstaufgabe – sowie alle Formen von unproduktivem Verhalten – dürfen nicht belohnt werden. Da die meisten Heroen bei Ayn Rand zwischen 30 und 40, ledig und körperlich das vitalste was Mutter Natur zustande gebracht hat sind, wird weder die Frage der Krankheit, der Behinderung, des Alters und der Kinder vertieft thematisiert. Es bleibt im Dunkeln wie mit dem nicht arbeitsfähigen Teil der Menschen verfahren werden soll. Den Verdacht, dass einige dieser Gruppen mangels "Wert" für andere sich selbst überlassen werden - mit allen daraus folgenden Konsequenzen - wird man nicht ganz los... Die soziale Realität der gefühlten Verantwortungslosigkeit, auch in einem Wohlfahrtsstaat, würde zur sichtbaren existenziellen Realität.   

Der Umgang mit der sozialen Frage ist bei Rand also eine Konsequenz der individuellen Frage. Solange aber nicht alle Menschen zu Übermenschen geworden sind – bzw. solange die „letzten Menschen“ (um mit Nietzsche zu sprechen) noch die Mehrheit bilden, wird es Leid und Elend geben - für das sich keiner interessiert. Aus eben dieser Problematik und den Umwälzungen im Zusammenhang mit der Industrialisierung, hat sich am Ende des 19. Jahrhunderts die Sozialgesetzgebung entwickelt...

Das Opfer wird von Rand durchgehend ausgeschlossen. Wenn es keinen Gegenwert gibt, gibt es auch keine Leistung. Alles aber kann einen Gegenwert darstellen – der Gegenwert muss nicht wirtschaftlich sein. Es wird als Opfer verworfen, wenn anonym an irgendeine Wohlfahrtseinrichtung gespendet wird, nicht aber, wenn es um Menschen geht deren Wohlbefinden für den Spender einen Wert darstellt. Darin und in vielen weiteren Beispielen zeigt sich die Radikalität und Konsequenz mit der Rand vom produktiven wertebasierten Menschen ausgeht.

 

Fazit

Ich kann Atlas Shrugged – trotz der 1069 Seiten – allen wärmstens empfehlen, die in der Lage sind, ein ganzes Buch mit einem Augenzwinkern zu lesen - einem Augenzwinkern, das mir erlaubt, die Welt für eine Zeitlang radikal aus der individuell-egoistischen Perspektive zu betrachten.

Die politische Konsequenz ist ein radikaler laissez-faire Staat. Spätestens, wenn Rand Anhänger argumentieren, dass der Staat an der Finanzkriese 2008 schuld ist, kommen einem ernsthafte Fragen - selbst wenn der Staat auch eine Rolle im Krisenverlauf spielt. Alan Greenspan - als glühender Rand Anhänger - war jedenfalls überrascht, dass sein langjähriges Vorgehen plötzlich nicht mehr funktionierte...

Man muss durch die Lektüre nicht gleich Objektivist oder Kapitalist werden, aber die kompromisslose Durchführung des Individualitätsprinzips hat etwas Nietzscheanisches – und wer Nietzsche in der Phase Menschliches Allzu Menschliches bis Zarathustra schätzt, wird Ayn Rand viel abgewinnen können.

 

HIER noch ein interessantes Interview mit Ayn Rand aus dem Jahr 1959.

Und HIER ein interessantes Feature vom 4. November 2016 im Deutschlandfunk.

 


[1] Gem. einer Umfrage der Library of Congress wurde Ayn Rands Buch „Atlas Shrugged“ als das Buch bewertet, das nach der Bibel das Leben der Leser am stärksten beeinflusst hat. https://de.wikipedia.org/wiki/Ayn_Rand (1.11.2016)

[2] https://www.aynrand.org/

[3] Ayn Rand, The Fountainhead, Signet 1993

[4] Ayn Rand, Atlas Shrugged, Signet 1992