Markt und Konkurrenz

Finanz- vs. Gütermärkte - ein ungleicher Kampf

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Seit einigen Jahren gibt es in der Schweiz ein massives Ungleichgewicht zwischen Finanz- und Gütermärkten. Diese Ungleichgewicht spiegelt sich im Wechselkurs zum Euro. Während Kaupreisparitäten einen Wechselkurs von etwa 1,50 CHF je EUR nahelegen, musste der Kurs von der SNB bei 1,20 als Untergrenze stabilisiert werden, um die Exporte (und die Auslandskredite schweizer Banken) zu sichern. Vorgängig zum Einschreiten der SNB war der Kurs im August 2011 kurzfristig auf 1,007 gestiegen. Seither sind zur Stützung des Franken die ausländischen Devisen in der SNB-Bilanz auf bisher unbekannte Höhen gestiegen. Aus Sicht der Finanzmärkte ist die Schweiz noch ein "sicherer Hafen" - dadurch strömt Geld in die Schweiz, was den Franken aufwertet und die Zinsen fallen lässt. Die halbe Schweiz strömt zum Einkauf ins grenznahe Ausland. Neue Einkaufszentren schiessen an den Grenzen zur Schweiz aus dem Boden. Das niedrige Zinsniveau löste einen Bauboom aus und die Immobilienpreise steigen. Bei einem Zinssatz von unter 1,50 % kann sich eine mittelständische Familie ein Wohneigentum für 1,2 Mio CHF finanzieren (das nötige Eigenkapital von 10 - 20 % vorausgesetzt).

In diesem Ungleichgewicht zwischen der Welt der Finanzen und der Welt der Güter wächst die Verschuldung privater Haushalte und die Immobilien- und Bauindustrie. Es ist offensichtlich, dass die Gütermärkte nicht die Macht haben, das Gleichgewicht in einer nützlichen Frist wieder herzustellen. Die Volumen der grenzüberschreitenden Finanzmarkttransaktionen sind ein Vielfaches der Volumen grenzüberschreitender Grütertransaktionen. Die Situation scheint ausweglos, weil die Marktmacht der Finanzmärkte ein Vielfaches der Marktmacht der Gütermärkte ist. Eine Deflation in der Schweiz oder eine Inflation im EU-Raum würde die Situation auf den Gütermärkten entlasten, hätte aber weitere Geldzuflüsse über die Finanzmärkte zur Folge. Besser wäre ein wirtschaftlicher Abschwung, der die Funktion als sicherer Hafen in Frage stellt. Derzeit ist das nicht absehbar - die schweizer Wirtschaft ist 2012 etwa 1,00 % gewachsten. Die Finanzmärkte "fordern" offenbar einen wirtschaftlichen Abschwung. Das erinnert an diverse Krisen der Vergangenheit, z.B. die Asienkrise Mitte der 90er Jahre - wenn auch die Gründe für Investitionen in die "Tiger-Staaten" andere waren. Zu viel Finanzkapital strömt in eine Region, löst dort Investitionen (Firmengründungen, Bau,...) aus, die realwirtschaftlich zu hinterfragen sind und zieht ab, wenn die realwirtschaftlichen Konsequenzen der finanzwirtschaftlichen incentives sich zeigen. Der Abzug stürzt die betroffene Volkswirtschaft dann in eine anhaltende Krise. So positiv der Bauboom von mancher Seite gesehen wird - er ist wohl der erste Schritt einer sich anbahnenden Krise.
Ich denke ein wesentlicher Teil des Problems ist das zu grosse Volumen des Finanzkapitals und der Mangel an Mechanismen, es zu einer sinnvollen Grösse zu schrumpfen. Eine gegebene Realwirtschaft verträgt nur ein bestimmtes Finanzvolumen. Wie könnte ein solches Gleichgewicht hergestellt werden? Was ist ein gesundes Verhältnis? Bis in die 90er Jahre galt sparen als Tugend und Bedingung für volkswirtschaftlichen Erfolg. Sind wir nicht längst über das Ziel hinausgeschossen? Sollten wir wieder zum altbewährten Umlageverfahren in der Altersvorsorge zurückkehren? Ist sparen eine Untugend?

Es geht mir bei der ganzen Schilderung nicht um die "arme" Schweiz, sondern um einen Mechanismus, der sich immer wieder wiederholt: zu viel Finanzkapital strömt aufgrund von Erwartungen in eine Region/Branche/... und versetzt sie in einen Ausnahmezustand (Zinsen, Wechselkurse,...). Irgendwann ebbt die Spekulationswelle ab und rollt zurück - das Kapital wird abgezogen. Was ist zu tun? Einschränkung des Kapitalverkehrs? Regulation? Zurück zur Planwirtschaft ist keine sinnvolle Möglichkeit. Was aber wäre eine Alternative??